Die WISSENSCHAFT
Die Wissenschaft über Fettleibigkeit entwickelt sich in einem unglaublichen Tempo. Jeden Tag werden neue Forschungsergebnisse über Adipositas aus verschiedenen Bereichen der wissenschaftlichen Gemeinschaft veröffentlicht. Mehr Informationen als je zuvor deuten darauf hin, dass Adipositas eine chronische, rezidivierende, biologisch und umweltbedingte Krankheit ist, die der Einzelne nicht kontrollieren kann.
Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass die Gehirnchemie und -signale, die Genetik, die Epigenetik und die Umwelt alle eine Rolle spielen.
Scrollen Sie nach unten, um mehr über einige der körpereigenen Mechanismen zu erfahren, die zu dieser komplexen Krankheit beitragen können, und darüber, wie Forschungsprojekte wie SOPHIA sich auf personalisierte Behandlungen für Patienten konzentrieren.
Prof. Bart Van der Scheuren MD, PhD: Die Wissenschaft der Adipositas
Die Theorie der Gewichtssollwerte/Sollwertbereiche
Wenn der Körper optimal funktioniert, neigt er dazu, sein Gewicht innerhalb einer begrenzten Spanne stabil zu halten. Dies geschieht über interne biologische Systeme und ohne bewusste Kontrolle durch den Einzelnen. Dieser Sollwert (oder enge Bereich) ist das, was der Körper als am sichersten für sein Überleben ansieht, und er wird sich gegen Abweichungen davon wehren, indem er Mechanismen wie die Hormonsignalisierung und die Gehirnchemie nutzt.
Bei Menschen mit Adipositas ist das komplexe Zusammenspiel von Hormonen, Neurotransmittern und zellulären Signalwegen, die an der Regulierung des Energiehaushalts beteiligt sind, gestört. Diese Funktionsstörung führt zu einem schwankenden Gewichts-Sollwert, der es erheblich schwieriger macht, ein gesundes Gewicht zu halten. Im Grunde genommen ist der "Thermostat" des Körpers zu hoch eingestellt und arbeitet ständig daran, ein Gewicht zu halten, das letztlich der Gesundheit schadet.
Die Dysregulation des Gewichtssollwerts ist ein wesentliches Merkmal der Adipositas-Erkrankung.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Dysregulierung des Gewichtssollwerts zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor bei der Fettleibigkeit ist. Externe Faktoren und biologische Faktoren beeinflussen sich gegenseitig.
Viele Dinge können sich auf den Sollwert auswirken, darunter bestimmte Krankheiten, Stress, bestimmte Arzneimittel oder Medikamente und bariatrische Operationen.
Für weitere Informationen siehe:
Dr. Andrew JENKINSON: Der Gewichtssollwert
Stoffwechselanpassung
Die metabolische Anpassung kann als ein Prozess der Energieerhaltung beschrieben werden, der im Körper oft als Reaktion auf eine Kalorienbeschränkung stattfindet.
Dieser Anpassungsprozess ist in Zeiten der Nahrungsknappheit überlebenswichtig, da er dafür sorgt, dass der Körper nicht mehr Energie verbraucht, als er aufnehmen kann.
- Der Körper senkt die Basalenergie, die er im Ruhezustand verbraucht.
- Es wird effizienter bei der Aufnahme und Speicherung von Energie.
- Es passt den Hormonspiegel an, um diese Ziele zu erreichen.
Die metabolische Anpassung in Verbindung mit einer Dysregulation des Gewichts-Sollwerts löst Mechanismen aus, um Energie zu sparen und den Kalorienverbrauch über hormonelle Veränderungen und die Regulierung der Körpertemperatur zu minimieren. Dies alles geschieht außerhalb der bewussten Kontrolle. Bei einer Adipositas-Erkrankung ist es daher äußerst schwierig, das Gewicht oder gewichtsbezogene Komplikationen ohne fachliche Unterstützung positiv zu beeinflussen.
Weitere Lektüre zu diesem Thema
Leptin-Resistenz
Leptin ist ein Hormon, das von den Zellen des Fettgewebes (auch Fettzellen genannt) produziert wird und wie ein Botenstoff vom Körper zum Gehirn wirkt. Es teilt mit, wie viel Energie der Körper gespeichert hat, und hilft, den Appetit, den Energieverbrauch und die Geschwindigkeit, mit der der Körper diese Energie verbrennt, zu regulieren.
Wenn es optimal funktioniert, signalisiert das Hormon Leptin dem Gehirn, den Hunger zu zügeln und den Energieverbrauch zu erhöhen, um ein gesundes Körpergewicht zu halten. Bei Menschen, die mit Fettleibigkeit leben, kann das Leptinsignal jedoch vom Gehirn "blockiert" oder "nicht gesehen" werden. Dies wird als Leptinresistenz bezeichnet. Mehrere Faktoren können im Laufe der Zeit zu einer Leptinresistenz beitragen, darunter Entzündungen, hoher Insulinspiegel oder Insulinresistenz und genetische Veranlagung. Wenn eine Leptinresistenz auftritt, erhält das Gehirn keine klare Botschaft von den Zellen, dass genügend Energie gespeichert ist, was zu anhaltendem Hunger und einer niedrigeren Stoffwechselrate führen kann.
Leptinresistenz, Dysregulierung des Gewichtsbereiches und maladaptive Stoffwechselreaktionen können zusammenwirken, so dass eine fachliche Unterstützung für die Gesundheit der an Adipositas erkrankten Personen unerlässlich ist.
Für weitere Informationen siehe:
EXTREM VERARBEITETE LEBENSMITTEL
Energiezufuhr, unsere moderne Lebensmittelumgebung und ultraverarbeitete Lebensmittel.
Unsere moderne Ernährungsweise und insbesondere ultra-verarbeitete Lebensmittel (UPF) werden zunehmend mit dem Anstieg von Adipositas in Verbindung gebracht.
Was sind ultra-verarbeitete Lebensmittel (UPF)?
UPF kommen in vielen Formen vor und sind in unserer modernen Lebensmittelumgebung weit verbreitet. Sie sind unter anderem an langen Listen von Zutaten zu erkennen, die in der heimischen Küche nicht verwendet würden, oder an einer langen Haltbarkeitsdauer.
Es ist wichtig zu beachten:
- Nicht alle UPFs sind gleich: Einige UPFs können je nach ihren Inhaltsstoffen und ihrem allgemeinen Nährwertprofil gesünder sein als andere.
- Andere Faktoren spielen eine Rolle: Der UPF-Konsum ist nur ein Faktor, der zu Adipositas beiträgt, und weitere Faktoren wie die individuelle Biologie, die Genetik und das allgemeine Ernährungsverhalten spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Warum sind die UPFs ein Problem?
- Sie werden so hergestellt, dass sie äußerst schmackhaft sind: UPFs werden oft so hergestellt, dass sie extrem schmackhaft sind und süchtig machen. Dabei werden Aromen, Texturen und Makronährstoffkombinationen verwendet, die die Belohnungszentren im Gehirn anregen.
- Diese "Übersättigung" kann mit unseren alten evolutionären Appetit- und Motivationssystemen interagieren und zu übermäßigem Konsum führen.
- Sie sind oft mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben oder Portionsgrößen verpackt.
- Die Erforschung der spezifischen Mechanismen, durch die UPFs die Energieaufnahme beeinflussen, einschließlich der Auswirkungen auf Appetithormone, Darmbakterien und Belohnungswege, ist ein relativ neues Studiengebiet.
- Die langfristigen Auswirkungen dieser Lebensmittel auf Menschen, die (aufgrund ihrer spezifischen genetischen Veranlagung) eher zu Adipositas neigen, sind noch nicht bekannt.
- Der Körper verfügt über metabolische und hedonistische Regulierungssysteme zur Aufrechterhaltung unseres "Sollgewichts", und eine übermäßige Exposition gegenüber UPFs kann die Homöostase (das Gleichgewicht) dieser Systeme außer Kraft setzen.
Die neueste Wissenschaft
In einer systematischen Übersichtsarbeit im Nutrition Journal wurden 20 epidemiologische Studien zu den gesundheitlichen Folgen des Verzehrs ultraverarbeiteter Lebensmittel analysiert. Diese Überprüfung umfasste mehr als 334 000 Teilnehmer und ergab einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Verzehr von extrem verarbeiteten Lebensmitteln und einem erhöhten Risiko für Übergewicht und Adipositas sowie anderen gesundheitlichen Folgen.
In einer systematischen Übersichtsarbeit im Nutrition Journal wurden 20 epidemiologische Studien zu den gesundheitlichen Folgen des Verzehrs ultraverarbeiteter Lebensmittel analysiert. Diese Überprüfung umfasste mehr als 334 000 Teilnehmer und ergab einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Verzehr von extrem verarbeiteten Lebensmitteln und einem erhöhten Risiko für Übergewicht und Fettleibigkeit sowie anderen gesundheitlichen Folgen.
Im European Journal of Clinical Nutrition veröffentlichte Forschungsergebnisse belegen ebenfalls den Zusammenhang zwischen dem Verzehr ultraverarbeiteter Lebensmittel und Adipositas. Dazu gehören Studien, die im Iran, in Kanada, Brasilien, den Vereinigten Staaten und mehreren europäischen Ländern durchgeführt wurden und die durchweg einen starken Zusammenhang zwischen einem hohen Verzehr von ultraverarbeiteten Lebensmitteln und erhöhten Adipositas-Indikatoren nachgewiesen haben.
Für weitere Informationen siehe:
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5053237/
- https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rstb.2022.0449#d1e1215
- Chen, X., Zhang, Z., Yang, H. et al. Consumption of ultra-processed foods and health outcomes: a systematic review of epidemiological studies. Nutr J 19, 86 (2020). https://doi.org/10.1186/s12937-020-00604-1
- Harb, A. A., Shechter, A., & Koch, P. A. (2023). Ultrahochverarbeitete Lebensmittel und die Entwicklung von Fettleibigkeit bei Erwachsenen. European Journal of Clinical Nutrition, 77(6), 619-627. https://doi.org/10.1038/s41430-022-01225-z
- Chang, K., Gunter, M., et al. (2023). Konsum ultraverarbeiteter Lebensmittel, Krebsrisiko und Krebssterblichkeit: eine groß angelegte prospektive Analyse in der UK Biobank. https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2023.101840
- van Galen, K.A., Schrantee, A., ter Horst, K.W. et al. Brain responses to nutrients are severely impaired and not reversed by weight loss in humans with obesity: a randomized crossover study. Nat Metab 5, 1059-1072 (2023). https://doi.org/10.1038/s42255-023-00816-9
ENTSTEHENDE WISSENSCHAFT
Projekt SOPHIA
SOPHIA (Stratification of Obese Phenotypes to Optimize Future Obesity Therapy) ist ein mit 16 Mio. EUR von der EU und der Industrie unterstütztes internationales Forschungsprojekt zur Entwicklung brauchbarer Instrumente für die Vorhersage von Komplikationen bei Adipositas.
Adipositas wird mit mehr als 200 Komplikationen in Verbindung gebracht, aber wir können noch nicht vorhersagen, wer sie entwickeln oder davon betroffen sein wird. Außerdem gibt es keine Vorhersagen darüber, wer auf eine Adipositastherapie ansprechen wird.
SOPHIA wird identifizieren und charakterisieren klinisch aussagekräftige Untergruppen von Patienten mit Adipositas, um die richtige Behandlung für die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt zu gewährleisten. Das Forschungskonsortium wird dieses Wissen nutzen, um ein Modell dafür zu entwickeln, wie die Welt über Adipositas spricht, und sich dabei auf neue Erkenntnisse und ein neues Vokabular konzentrieren.
Die Stimmen von Menschen, die mit Adipositas leben, stehen im Mittelpunkt von SOPHIA. Ein Patientenbeirat sorgt dafür, dass die Erkenntnisse, Meinungen und Wünsche der Patienten umfassend in die Studie einfließen. Die Forschungsgruppe wird zu einer stärker patientenzentrierten und gerechteren Darstellung der Adipositas und ihrer vielfältigen Auswirkungen auf den Einzelnen sowohl aus sozialer als auch aus medizinischer Sicht beitragen. Alles beginnt damit, dass Adipositas eine chronische Krankheit ist und nicht etwas, für das sich die Menschen entscheiden, damit zu leben.
Das Enddatum der Studie ist Mai 2025
Informationsblatt zum Projekt SOPHIA (https://www.imi.europa.eu/projects-results/project-factsheets/sophia)
Projekt-Website (https://imisophia.eu)
"Adipositasbehandlung und Gewichtsabnahme sind nicht dasselbe."
Internationale Adipositas-Kooperation